Was ist eine orthostatische Dysregulation?


Sogenannte orthostatische Dysregulationen gehören mit zu den häufigsten Gründen für einen Arztbesuch.1 Der Begriff „Orthostase“ stammt aus dem Griechischen und meint „aufrechte Körperhaltung“. Somit lässt sich bereits gut ableiten, was unter einer orthostatischen Intoleranz beziehungsweise Dysregulation (auch Orthostase-Syndrom) zu verstehen ist: Es handelt sich um eine Störung des Kreislaufsystems, die sich beispielsweise durch einen plötzlichen Blutdruckabfall oder eine übermäßige Steigerung des Pulses bei Veränderung der Körperposition vom Sitzen oder Liegen ins Stehen zeigt.

Die orthostatische Dysregulation ist kein eigenständiges Krankheitsbild, sondern zunächst ein messtechnischer Befund. Dieser kann mit Symptomen einhergehen (symptomatisch) – muss aber nicht (asymptomatisch).2 Handlungsbedarf besteht in der Regel erst, wenn es zu Beschwerden wie häufigem Schwindel oder Kreislaufzusammenbrüchen kommt.

Gut zu wissen:

Eine orthostatische Dysregulation geht meist mit einem Abfall des Blutdrucks einher, weshalb viele wissenschaftliche Quellen die Begriffe orthostatische Dysregulation und orthostatische Hypotonie synonym verwenden. „Hypotonie“ ist die medizinische Bezeichnung für niedrigen Blutdruck. Allerdings gibt es auch eine andere Form der Kreislaufdysregulation, ohne Blutdruckabfall – das Posturale Tachykardiesyndrom (POTS).

Wie macht sich die Kreislaufstörung bemerkbar?


Das Telefon klingelt und man springt schnell auf, um den Anruf nicht zu verpassen. Das ist beispielsweise eine typische Situation, in der es zu orthostatischen Beschwerden kommen kann. Dazu gehören beispielsweise:

  • Schwindel
  • Benommenheit
  • Herzrasen (Tachykardie)
  • Übelkeit
  • kurze Bewusstlosigkeit (Synkope)
  • „Schwarz werden“ vor den Augen
  • schmerzhaftes Gefühl im Nacken- und Schulterbereich („Kleiderbügel-Schmerz“)
  • Panikattacken

Setzt sich der Betroffene rasch hin, lassen die Symptome in der Regel schnell wieder nach. Gerade bei einem Kreislaufkollaps besteht jedoch die Gefahr von Stürzen und damit auch Verletzungen. Zudem zeigen neuere Studien, dass Menschen mit einer orthostatischen Dysregulation ein höheres Risiko haben, an Herzerkrankungen wie Herzinsuffizienzen oder Herzinfarkten zu erkranken.3

Orthostatische Dysregulation: Das passiert im Körper


Wenn wir aus einer sitzenden oder liegenden Position aufstehen, fällt der Blutdruck leicht ab – dieser Vorgang ist ganz normal. Denn durch die Schwerkraft sacken etwa 500 bis 1.000 Milliliter Blut in die Becken- und Beinvenen ab.4 Normalerweise sorgt das Nervensystem jedoch dafür, dass sich die Gefäße sofort zusammenziehen, und vermehrt Blut zum Herzen zurückströmt (Orthostase-Reaktion).

Bei Menschen mit orthostatischer Dysregulation ist dieser Mechanismus gestört und es kommt zu einem starken Blutdruckabfall oder Anstieg der Herzfrequenz.

Klassifikation der Kreislaufdysregulationen:

In der Fachliteratur existieren verschiedene Einteilungen von Kreislaufstörungen. Die meisten medizinischen Arbeiten beschränken sich jedoch auf folgende zwei Formen:

Orthostatische Hypotonie: Wenn der Blutdruck in den Keller sinkt


Als Grenze für eine orthostatische Hypotonie wird ein Abfall des systolischen Blutdrucks um mehr als 20 mmHg (Millimeter Quecksilbersäule) und/oder des diastolischen Blutdrucks um mindestens 10 mmHg innerhalb von drei Minuten nach dem Aufstehen definiert.4

In wissenschaftlicher Fachliteratur wird die orthostatische Hypotonie gelegentlich noch in weitere Unterformen eingeteilt:

  • Asympathikotone orthostatische Hypotonie: Bei dieser Form sinkt der Blutdruck. Die Herzfrequenz bleibt nahezu unverändert.5
  • Sympathikotone orthostatische Hypotonie: Der Blutdruck fällt rasch ab und die Herzfrequenz steigt um mehr als 16 Schläge pro Minute deutlich an.6

Im Gegensatz zur arteriellen Hypotonie sind die Blutdruckwerte bei einer orthostatischen Dysregulation nur anfallsweise und nicht dauerhaft erniedrigt.

Medizin-Wissen kompakt:

  • Beim systolischen (oberen) Blutdruck handelt es sich um den maximalen Druck beim Zusammenziehen der Herzmuskulatur.
  • Der diastolische (untere Blutdruck) entspricht dem niedrigsten Druck, der herrscht, während sich der Herzmuskel wieder entspannt.

Epidemiologie und Ursachen der orthostatischen Hypotonie

Besonders bei Menschen im höheren Lebensalter kommt es häufig zu einer orthostatischen Hypotonie – die Prävalenz liegt bei Personen über 65 Jahren um die 20 Prozent.5 Doch auch jüngere Menschen können betroffen sein.

Für den Blutdruckabfall kommen beispielsweise folgende Ursachen infrage:

  • Flüssigkeitsmangel (zum Beispiel infolge von Durchfallerkrankungen, geringen Trinkmengen)
  • altersbedingte Abnahme der Muskelpumpenaktivität
  • Venenschwäche (Krampfadern)
  • langes Liegen (zum Beispiel bei Bettlägerigkeit)
  • Herzerkrankungen (etwa Herzklappenerkrankungen oder Herzrhythmusstörungen)
  • hormonelle Störungen (beispielsweise Unterfunktion der Schilddrüse)
  • neurologische Erkrankungen (wie Morbus Parkinson)

Aber auch viele Medikamente (unter anderem blutdrucksenkende und wassertreibende Mittel) können zu einem sehr niedrigen Blutdruck führen.

Orthostatische Hypotonie: Was lässt sich dagegen tun?

Ist die orthostatische Kreislaufstörung auf eine Grunderkrankung zurückzuführen, liegt das Ziel der Therapie zunächst in der Behandlung dieser. Je nach Befund kann die Überweisung zu einem Spezialisten (beispielsweise einem Facharzt der Neurologie) notwendig sein.

Zudem klärt der Mediziner den Patienten über Risikofaktoren auf, die Beschwerden wie Schwindel begünstigen. Dazu gehören beispielsweise:

  • sehr abruptes Aufstehen
  • heiße Bäder
  • Flüssigkeits- und/oder Natriummangel

Als hilfreiche Maßnahmen haben sich das Tragen von Kompressionsstrümpfen sowie regelmäßige isometrische Übungen (beispielsweise das Überkreuzen und Aneinanderpressen der Beine) bewährt. Dadurch erhöht sich der Gefäßwiderstand in den Beinvenen – wodurch das Blut wieder nach oben gedrückt wird.

Da blutdrucksenkende Medikamente eine der häufigsten Ursachen für eine orthostatische Intoleranz sind, sollte mit dem Arzt eine medikamentöse Neueinstellung besprochen werden. Je nach Ursache kann der Mediziner zudem Medikamente verschreiben, die die Wirkung des Sympathikus (Teil des vegetativen Nervensystems) verstärken. Dieser hat die Aufgabe, den Körper – beispielsweise bei Stress – in eine erhöhte Leistungsbereitschaft zu versetzten. Wird er angeregt, verengen sich die Blutgefäße und der Blutdruck steigt.

Posturales Tachykardiesyndrom (POTS) – erhöhter Puls


Eine seltenere Form der Kreislaufstörung ist das Posturale Tachykardiesyndrom (kurz: POTS). Eine Hypotonie bleibt aus, jedoch kommt es zu einem überdurchschnittlichen Anstieg der Herzfrequenz.

Zur Diagnose eines POTS werden folgende Kriterien herangezogen:

  • Die Herzfrequenz steigt innerhalb von 10 Minuten nach dem Hinstellen um mindestens 30 Schläge pro Minute an oder beträgt absolut mindestens 120 Schläge pro Minute.
  • Der Blutdruck bleibt weitgehend unverändert (der systolische Wert fällt nicht um mehr als 20 mmHg und der diastolische nicht um mehr als 10 mmHg).
  • Es treten orthostatische Symptome wie Schwindel oder Herzrasen auf.7

Wie bei der orthostatischen Hypotonie kann der Schellong-Test bei der Diagnosestellung hilfreich sein.

Epidemiologie und Ursachen des posturalen Tachykardiesyndroms

Schätzungen zufolge leiden in Deutschland etwa 0,2 Prozent der Bevölkerung an einem posturalen Tachykardiesyndrom, wobei überwiegend Frauen im Alter von 15 bis 50 Jahren betroffen sind.6 Sie berichten nach schnellem Aufstehen unter anderem von „Nebel im Kopf“, Herzrasen (Tachykardie), einem Beklemmungsgefühl, Schwäche sowie Angst und Panikattacken.

Die genauen Ursachen für das plötzliche Hochschnellen des Pulses sind wissenschaftlich noch nicht eindeutig geklärt. Möglich Erklärungen, die beispielsweise diskutiert werden, sind:

  • Entzündungsreaktionen
  • genetisch bedingte Störungen
  • eine verminderte Hirndurchblutung
  • ein reduziertes Blutvolumen

Zudem scheint die Psyche Einfluss auf die Beschwerden zu haben. Denn oftmals nehmen die Beschwerden in sehr stressigen Lebensphasen zu.

Therapiemöglichkeiten des posturalen Tachykardiesyndroms

Aufgrund der Vielzahl an möglichen Symptomen und Ursachen gibt es bisher keine alleinige Maßnahme zur Behandlung der Posturalen Tachykardie. Meist kommt eine multimodale Therapie zum Einsatz, die sich beispielsweise aus dem Vermeiden auslösender Faktoren (wie schnelles Aufstehen), dem Tragen von Kompressionsstrümpfen sowie einer Atemtherapie zusammensetzt.

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Miriam Müller Aufgewachsen in einer Familie aus Krankenschwestern und Journalisten, interessierte sich Miriam Müller bereits sehr früh für die Themen Medizin und Medien. Nach verschiedenen Praktika im journalistischen Bereich – unter anderem bei der Deutschen Welle in Washington D.C. – absolvierte sie erfolgreich ihr Masterstudium Kommunikationswissenschaft an der Otto-Friedrich-Universität in Bamberg. Miriam Müller Medizinredakteurin und Kommunikationswissenschaftlerin kanyo® mehr erfahren
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